31 Tage Rett - 31 Fragen zu Rett - 28. Oktober
"Was oder wieviel versteht Isabella wirklich?"
"Und wenn Isabella nicht sprechen kann, versteht sie, was um sie herum passiert?" so oder ähnliche Fragen werden uns immer wieder gestellt. Wer nicht sprechen kann, dem wird oft "unterstellt", dass er/sie auch nichts versteht.
Kurz gesagt: Der Input funktioniert - nur der Output ist "gestört" - aber die Tagesverfassung (Epilepsie, Gleichgewicht, Schmerzen, ...) bestimmt, wie gut der Input funktioniert.
Was heißt das nun für Isabella und viele andere Rett-PatientInnen in der Praxis?
Bevor das Rett-Syndrom zwischen 6. und 18. Lebensmonat ausbricht, entspricht die
Kommunikationsentwicklung der meisten Kinder mit Rett-Syndrom allen anderen "normal entwickelten" Kindern. Sie zeigen normale Kontakt- und Äußerungsbereitschaft, zeigen ihren Wunsch nach
Zuwendung zB durch ausgestreckte Arme und reagieren angemessen auf das
verbale und nonverbale Kontaktverhalten der Eltern und anderen Bezugspersonen.
Manche der Kinder waren aber in diesem Alter sehr ruhige Kinder, zeigen wenig oder gar keine Initiative zur Kontaktaufnahme.
Die meisten Kinder durchlaufen dann auch eine altersgemäße lautsprachliche Entwicklung, dh es kommt zu den Kleinkinder-typischen Lall-Lauten, und manche Rett-Kinder erlernen sogar auch einige Worte zu sprechen und sinnvoll einzusetzen! --> hier erlernen die Kinder "wie Kommunikation funktioniert!"
ABER wie gemein!: Genau zu diesem Zeitpunkt der ersten Worte bricht das Rett-Syndrom aus (zw. 6. und 18. Lebensmonat). In diesem typischen
ersten Stadium kommt es zum Verlangsamung der kompletten motorischen Entwicklung, erste stereotypische Handbewegungen können auftreten. Meist wird jetzt erstmals die Diagnose "Entwicklungsverzögerung" gestellt.
Es beginnt der sogenannte "Sprach- und Kommunikationszerfall": Wenn bis zu diesem Zeitpunkt das Kind einige Worte erlernt hat, kommt es dann im Rahmen des
ersten oder zweiten Stadiums zu "sprechmotorischen Blockierungen als Folge der verbalen
Apraxie" - dh ersten Rückschritten - dh das Kind verlernt zu sprechen.
Oder: das Kind hat Zeit ihres Lebens nie "richtige Worte" produzieren können (so wars zB bei unserer Isabella - sie hat noch nie ein Wort gesprochen, nur wenig "gelallt" ...) - und nein "nicht einmal 'Mama' oder ähnliche einfache Worte" - das werden wir auch oft gefragt :(
Das Sprach- und Kommunikationsniveau ist bei den Kindern individuell sehr
unterschiedlich. Die große Streubreite lässt sich damit erklären, dass die Erkrankung zu unterschiedlichen Zeitpunkten ausbrechen kann.
ABER:
Obwohl unsere Kinder über keinerlei Möglichkeiten für Lautsprache verfügen, können sie immer wieder zeigen, dass sie Handlungsabläufe, Äußerungen, Gespräche oder Witze sehr wohl verstehen und auch das System Kommunikation verstanden haben.
Einige Bespiele von Isabella (ohne Techniken der UK):
- ein Lachanfall an der richtige Stelle eines Filmes
- Abendessen - Isa mag nichts mehr essen, die Schwester fragt sie: "Magst du bei meiner Schokolade abbeißen?" (ohne etwas zu zeigen) - dicker Grinser in Isabellas Gesicht
- freudige Erregung mit Hände-fuchteln und dickem Grinser wenn wir von der Therapie KidsChance in Bad Radkersburg sprechen
ABER auch das gehört dazu:
- dicke Krokodils-Tränen, wenn wir als Eltern neben unserer Tochter jemanden erklären, was das Rett-Syndrom ist
Also zusammengefasst:
Heute nicht mehr gültig sind Aussagen älterer Literatur
- Rett-Kinder haben alle eine "schwere geistige Behinderung" und es ist "keinerlei Kommunikation möglich" ... mit den damaligen nicht vorhandenen technischen Möglichkeiten konnten die damaligen Rett-Kinder ihr wahres Potential nicht zeigen ...
Richtig ist:
- ist die Tagesverfassung gut, verstehen Rett-PatientInnen sehr viel oder alles - aber die kognitiven Voraussetzungen sind - wie bei allen Menschengruppierungen - unterschiedlich
- die heutigen technischen Möglichkeiten von Unterstützter Kommunikation (Augensteuerung, Kopfsteuerung, Taster, ...) eröffnen enorm viele Chancen für die Rett-PatientInnen zu zeigen/beweisen, dass sie wirklich viel verstehen
- Elternberichte aber auch Berichte von Fachpersonal (SonderpädagogInnen, TherapeutInnen, ... usw) in unterschiedlichen Medien zeigen, wieviel Rett-PatientInnen verstehen und wieviel Kommunikation tatsächlich möglich ist
Nur beispielhaft seien hier folgende aktuelle Literatur-Tipps genannt:
Fachzeitschrift "isaac's Zeitung Unterstützte Kommunikation - Kopf- und Augensteuerung" Ausgabe 4/2011
Fachzeitschrift "isaac's Zeitung Unterstützte Kommunikation - UK bei Rett-Syndrom" Ausgabe 4/2004
"Kommunikative Bedürfnisse und
Unterstützungsmöglichkeiten
bei Mädchen und Frauen
mit Rett-Syndrom" Wissenschaftliceh Hausarbeit von Ilka Felgenhauer
Möglichkeiten und Probleme in der Kommunikation von Mädchen mit Rett-Syndrom und ihre Konsequenzen für die pädagogische Arbeit von Claudia Winkler, 2008